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Die Geschichte von der anonymen Frau, die
Jesus die Füße salbt, folgt direkt auf die sehr wuchtige
Rede Jesu zum großen Weltgericht, eine kurze
Leidensankündigung Jesu und die Nachricht vom
Hinrichtungsbeschluss der Priester.
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Sie gibt uns damit den rechten Blick
für die vorangehenden Reden Jesu.
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Sie ist eine Botschaft vom Primat der
Liebe.
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Sie ist eine starke Botschaft für
die soziale Arbeit der Kirche.
Zunächst die zitierten Bibeltexte:
Jesu Rede vom Weltgericht:
Matthäus 25, 31-46: Wenn aber des
Menschen Sohn in seiner Herrlichkeit kommen wird und alle heiligen Engel
mit ihm, dann wird er sitzen auf dem Throne seiner Herrlichkeit; und vor
ihm werden alle Völker versammelt werden, und er wird sie
voneinander scheiden, wie ein Hirt die Schafe von den Böcken
scheidet, und er wird die Schafe zu seiner Rechten stellen, die
Böcke aber zu seiner Linken.
Dann wird der König denen zu seiner Rechten sagen: Kommet her, ihr
Gesegneten meines Vaters, ererbet das Reich, das euch bereitet ist seit
Grundlegung der Welt! Denn ich bin hungrig gewesen, und ihr habt mich
gespeist; ich bin durstig gewesen, und ihr habt mich getränkt; ich
bin ein Fremdling gewesen, und ihr habt mich beherbergt; ich bin nackt
gewesen, und ihr habt mich bekleidet; ich bin krank gewesen, und ihr habt
mich besucht; ich bin gefangen gewesen, und ihr seid zu mir gekommen.
Dann werden ihm die Gerechten antworten und sagen: Herr, wann haben wir
dich hungrig gesehen und haben dich gespeist, oder durstig und haben dich
getränkt? Wann haben wir dich als Fremdling gesehen und haben dich
beherbergt, oder nackt und haben dich bekleidet? Wann haben wir dich
krank gesehen, oder im Gefängnis, und sind zu dir gekommen? Und der
König wird ihnen antworten und sagen: Wahrlich, ich sage euch,
insofern ihr es getan habt einem dieser meiner geringsten Brüder,
habt ihr es mir getan!
Dann wird er auch denen zur Linken sagen: Gehet hinweg von mir, ihr
Verfluchten, in das ewige Feuer, das bereitet ist dem Teufel und seinen
Engeln! Denn ich bin hungrig gewesen, und ihr habt mich nicht gespeist;
ich bin durstig gewesen, und ihr habt mich nicht getränkt; ich bin
ein Fremdling gewesen, und ihr habt mich nicht beherbergt; nackt, und ihr
habt mich nicht bekleidet; krank und gefangen, und ihr habt mich nicht
besucht!
Dann werden auch sie ihm antworten und sagen: Herr, wann haben wir dich
hungrig oder durstig oder als Fremdling oder nackt oder krank oder
gefangen gesehen und haben dir nicht gedient? Dann wird er ihnen
antworten: Wahrlich, ich sage euch, insofern ihr es nicht getan habt
einem dieser Geringsten, habt ihr es mir auch nicht getan! Und sie werden
in die ewige Pein gehen, die Gerechten aber in das ewige Leben.
Leidensankündigung Jesu und die Verabredung des Klerus zum
Justizmord:
Matthäus 26, 1-5: Und es begab
sich, als Jesus alle diese Reden beendet hatte, sprach er zu seinen
Jüngern: Ihr wißt, daß in zwei Tagen das Passah ist;
dann wird des Menschen Sohn überantwortet, damit er gekreuzigt
werde.
Da versammelten sich die Hohenpriester und die Schriftgelehrten und die
Ältesten des Volkes im Hofe des obersten Priesters, der Kajaphas
hieß. Und sie hielten miteinander Rat, wie sie Jesus mit List
greifen und töten könnten. Sie sprachen aber: Nicht am Fest,
damit kein Aufruhr unter dem Volk entsteht!
Die Salbung Jesu:
Matthäus 26, 5-13: Als nun Jesus
zu Bethanien im Hause Simons des Aussätzigen war, trat ein Weib zu
ihm mit einer alabasternen Flasche voll kostbarer Salbe und goß sie
auf sein Haupt, während er zu Tische saß. Als das seine
Jünger sahen, wurden sie entrüstet und sprachen: Wozu diese
Verschwendung? Man hätte das teuer verkaufen und den Armen geben
können! Da es aber Jesus merkte, sprach er zu ihnen: Warum
bekümmert ihr das Weib? Sie hat doch ein gutes Werk an mir getan!
Denn die Armen habt ihr allezeit bei euch, mich aber habt ihr nicht
allezeit! Damit, daß sie diese Salbe auf meinen Leib goß, hat
sie mich zum Begräbnis gerüstet.
Wahrlich, ich sage euch: Wo immer dieses Evangelium gepredigt wird in der
ganzen Welt, da wird man auch sagen, was diese getan hat, zu ihrem
Gedächtnis!
Kommentar zur
Rede vom Weltgericht:
Die Rede vom Weltgericht liest man mit
Schaudern und stellt nur die Frage: „HERR, wer kann dann selig
werden.“
Wer schon einmal in einem Entwicklungsland war und einem Menschen ein
Almosen gegeben hat und dann vielleicht noch einem zweiten und dann von
vielen bittenden Menschen umringt war, die alle genau so ehrenwerte
Gründe haben, um eine Gabe zu bitten, der weiß, wie
unmöglich es ist, all denen gerecht zu werden, mit denen sich Jesus
hier identifiziert. Ich bin in einer solchen Situation einmal einfach
weggelaufen, als immer mehr und mehr Menschen kamen und kein Ende des
Bettelns abzusehen war. War unter denen, vor denen ich geflohen war,
keiner, von dem Jesus sagen würde:
„Wahrlich, ich sage
euch, insofern ihr es getan habt einem dieser meiner geringsten
Brüder, habt ihr es mir getan!“ und war vor allen Dingen
keiner darunter, von dem Jesus sagen würde:
„Wahrlich, ich
sage euch, insofern ihr es nicht getan habt einem dieser Geringsten, habt
ihr es mir auch nicht getan!“ Jesus spricht ja nicht davon,
dass wir es vielleicht hin und wieder einmal tun sollten, vielleicht da,
wo viele es sehen. Nein, was wir einem von den Geringsten vorenthalten,
das haben wir Jesus vorenthalten.
In Folge dieser glasklaren Aussagen Jesu kann man bei der Auslegung
dieses Textes eigentlich nur in eine Abwehrhaltung gehen.
- Kann es denn wahr sein, dass nur die ganz wenigen Menschen, die ihr
ganzes Leben, ihre ganze Freizeit in soziale Dienste einbringen, in
Jesu Augen gerecht sind?
- Wir verstehen die positive Aussage , dass Jesus sich freut
über das, was wir einem bedürftigen Menschen Gutes getan
haben. Aber kann und darf Jesus uns dafür verantwortlich machen,
dass wir einem bedürftigen Menschen etwas nicht gegeben, nicht
geholfen haben?
- Stimmt es also, dass wir jedermanns Diener sind?
- Ist das nicht der Grund, der viele Menschen von der Nachfolge
abschreckt: Wenn ich Christ wäre, dann müsste ich ja...
Paulus kennt diesen Zwiespalt, wenn er einerseits die Korinther
aufruft (1. Kor. 7, 23):
Ihr seid teuer erkauft; werdet nicht der
Menschen Knechte!. Er warnt die Korinther also davor, sich von
Menschen abhängig zu machen. Andererseits sagt er aber von sich
selbst (1. Kor. 9, 19):
Denn wiewohl ich frei bin von allen, habe ich
mich doch allen zum Knecht gemacht, um ihrer desto mehr zu gewinnen.
Er dient Menschen mit dem Evangelium, wird zu ihrem Knecht, weil er ihnen
das Evangelium nahe bringt. Er schildert sehr eindringlich, was dies
bedeutet, ein Arbeiter für das Evangelium zu sein (2. Kor. 11,
24-33:
Von den Juden habe ich fünfmal vierzig Streiche weniger
einen empfangen; dreimal bin ich mit Ruten geschlagen, einmal gesteinigt
worden; dreimal habe ich Schiffbruch erlitten; einen Tag und eine Nacht
habe ich in der Tiefe zugebracht. Ich bin oftmals auf Reisen gewesen, in
Gefahren auf Flüssen, in Gefahren durch Mörder, in Gefahren vom
eigenen Volke, in Gefahren von Heiden, in Gefahren in der Stadt, in
Gefahren in der Wüste, in Gefahren auf dem Meere, in Gefahren unter
falschen Brüdern; in Arbeit und Mühe, oftmals in Nachtwachen,
in Hunger und Durst; oftmals in Fasten, in Kälte und
Blöße; zu alledem der tägliche Zulauf zu mir, die Sorge
für alle Gemeinden. Wer ist schwach, und ich bin nicht auch schwach?
Wer nimmt Anstoß, und ich entbrenne nicht? Wenn ich mich
rühmen soll, so will ich mich meiner Schwachheit rühmen. Der
Gott und Vater des Herrn Jesus, der gelobt ist in Ewigkeit, weiß,
daß ich nicht lüge. In Damaskus bewachte der Landpfleger des
Königs Aretas die Stadt der Damaszener, um mich zu verhaften; und
ich wurde durch ein Fenster in einem Korb über die Mauer
hinabgelassen und entrann seinen Händen.
Nun tut es uns gut, wenn wir einem solchen Text nicht zu schnell
entrinnen. Es gibt keinen Text, der mir nicht etwas zu sagen hat, der
wirklich nur den anderen gilt. Jeder Text ist zunächst einmal eine
Botschaft an mich. Diese Botschaft gilt es zu heben. Erst danach
dürfen wir nach den Koordinaten suchen, an denen wir den Text
einordnen. Denn bei diesem Einordnen besteht die Gefahr, dass wir dem
Text die Spitze nehmen und damit vielleicht wesentliches verlieren.
- Jesus identifiziert sich hier mit den Geringsten.
- Jesus macht unseren Umgang mit den Geringsten zum
Prüfstein.
- Die Menschen zerfallen in zwei Gruppen, die scharf voneinander
getrennt werden können:
- Die, die getan haben.
- Die, die nicht getan haben.
Wir würden glauben, dass Jesus erst einmal einen Grenzwert
festlegen sollte: «Mindestens 50€/Monat für charitative
Zwecke aufgebracht». Das sind die Menschen, die einen akzeptablen
Lebenswandel führen(?). Jeden Monat? In der Mehrheit der Monate?
Dies ist nicht der Weg, den Jesus beschreitet. Für Jesus ist es ganz
einfach: Es gibt die Täter und die Nicht-Täter und diese
Gruppen kann man schön nach links und nach rechts stellen. Bevor wir
uns aus diesem Konflikt mit einem wie auch immer gearteten theologischen
Kunstgriff verabschieden, sollten wir einmal nachdenken: Warum kann er
das?
Es gibt Menschen, die den Konflikt, den ich mit meiner kleinen Episode
aus Asien beschrieben habe, für sich ganz einfach lösen. Ich
kann die Not so wie so nicht lindern, also halte ich mich da heraus.
Diese Menschen merken gar nicht, dass sie in eine Kultur des Wegschauens
oder des Hindurchschauens abgleiten. Sie gewöhnen sich mehr und mehr
an, Leid nicht wahr zu nehmen. Und dabei übersehen sie leicht, wie
sie auch in den Augenblicken wegschauen, in denen ihre Hilfe gebraucht
und möglich wäre. Ihr Herz ist, wie die Bibel sagt, hart
geworden (Eph. 4, 17-20):
Das sage und bezeuge ich nun im Herrn,
daß ihr nicht mehr wandeln sollt, wie die Heiden wandeln in der
Eitelkeit ihres Sinnes, deren Verstand verfinstert ist und die entfremdet
sind dem Leben Gottes, wegen der Unwissenheit, die in ihnen ist, wegen
der Verhärtung ihres Herzens; die, nachdem sie alles Gefühl
verloren, sich der Ausschweifung ergeben haben, zur Ausübung jeder
[Art von] Unreinigkeit mit unersättlicher Gier. Ihr aber habt
Christus nicht also [kennen] gelernt; Hier beschreibt der Apostel
Paulus sehr sorgfältig, wie sich Menschen verändern, die
verhärtet sind, die das Gespür für den Anderen verloren
haben. Diese Veränderung erfolgt im Laufe eines Lebens bei einem
Menschen, der immer weggeschaut hat, der sich dieses Wegschauen
antrainiert hat. Diese Veränderung mag schon dazu führen, dass
es diese „Zwischenwerte“, diese Menschen, die ein bisschen
hilfsbereit sind, gar nicht so gibt, wie wir es erwarten. So ist dies
auch eine Warnung für mich selbst: Wo stehe ich in diesem
Veränderungsprozess? Habe ich noch die Sensibilität für
meinen Mitmenschen, kann Jesus noch zu mir reden und mich auf einen
Menschen aufmerksam machen, mich zu ihm senden, damit ich ihm helfe.
Würde ich ein solches Signal des Geistes Gottes wahrnehmen?
Muss Jesus vielleicht bei diesem großen Weltgericht nur in die
Gesichter schauen und die auswählen, die noch lächeln
können, die noch Freude und Zuversicht ausstrahlen. Muss er
vielleicht nur jene aussondern, deren Gesicht steinhart geworden ist,
weil sie in den letzten zehn Jahren nicht einmal mehr gelächelt
haben? Sicher ist solch eine pauschale Aussage, am Gesicht festgemacht,
eine Überspitzung und tut manchem Menschen unrecht. Leider gibt es
aber viele alte Menschen, bei denen dies leider stimmt: Menschen, die die
Summe ihrer negativen Erfahrungen verabsolutieren und nicht mehr in der
Lage sind, Vertrauen zu schaffen oder einem anderen Menschen Vertrauen
entgegen zu bringen. Da ist der Handwerksmeister, der vielleicht einmal
mit viel Vertrauen zu seinen Mitarbeitern begonnen hat. Aber keiner war
so fleißig wie er selber, keiner hat so genau und sorgfältig
gearbeitet wie er. Und einer hat gar Geld unterschlagen. Zwar hat er
diesen Menschen sofort entlassen, aber er hat dieses Urvertrauen seiner
Jugend verloren. Und irgend wann im Alter verschmilzt dieses
differenzierte Bild zu dem einen Bild, dass Gesellen doch nur faul und
schlampig sind und man aufpassen muss, dass sie ihren Meister nicht
betrügen. Diese Verengung des Blickes ist eine große Gefahr
für Menschen, die ihr Leben lang Chefs waren.
Und diese Verengung des Gesichtsfeldes erlebt man nicht nur im
Verhältnis Chef / Mitarbeiter, sondern auch im Verhältnis
Mann/Frau und Frau/Mann, Eltern/Kinder und Kinder/Eltern, in
Freundschaften, im Verhältnis von Nachbarn untereinander. Meist
laufen diese Prozesse nach dem oben beschriebenen Beispiel ab. Da sind
schmerzliche Erfahrungen, die ein Mensch schwer verarbeiten kann und dann
wird aus: „Es gibt Gesellen, die veruntreuen Geld“ ganz
heimlich und unbewusst im Hinterkopf: „Alle Gesellen veruntreuen
Geld.“. Von dieser Verabsolutierung unserer schlechten Erfahrung
kann uns nur der Geist Gottes befreien, der uns immer wieder an unsere
guten Erfahrungen erinnert und uns hilft, zu vertrauen.
Es gibt einen eindrucksvollen Text im Brief an die Hebräer, der zwar
eine andere Zielrichtung hat als unser Text, der aber ein ähnliches
Phänomen beschreibt. Die verfolgte Gemeinde hat Großes
geleistet. Und doch wird sie im Laufe der Zeit mürbe, so dass der
Hebräerbrief sie ermahnt, ihre Freimütigkeit nicht zu
verlieren. Eine solche Ermahnung hätte auch unserem Handwerksmeister
gut getan. (Hebr. 10, 32-36)
Gedenket aber der früheren Tage, in
welchen ihr nach eurer Erleuchtung unter Leiden viel Kampf erduldet habt,
da ihr teils selbst Schmähungen und Drangsalen öffentlich
preisgegeben waret, teils mit denen Gemeinschaft hattet, welche so
behandelt wurden; denn ihr habt den Gefangenen Teilnahme bewiesen und den
Raub eurer Güter mit Freuden hingenommen, in der Erkenntnis,
daß ihr selbst ein besseres und bleibendes Gut besitzet. So werfet
nun eure Freimütigkeit nicht weg, welche eine große Belohnung
hat! Denn Ausdauer tut euch not, damit ihr nach Erfüllung des
göttlichen Willens die Verheißung erlanget. Lesenswert ist
in diesem Zusammenhang auch die Geschichte von Elia, der sich bei Gott
beklagt, dass er der letzte der Propheten ist und dann von Gott in
großer Liebe gezeigt bekommt, dass da noch 7000 übrig sind,
die ihre Knie vor dem Bild des Baal nicht gebeugt haben. (1. Könige
19, 14-18)
(Elia) sprach: Ich habe heftig für den HERRN, den Gott
der Heerscharen, geeifert; denn die Kinder Israel haben deinen Bund
verlassen, deine Altäre zerbrochen und deine Propheten mit dem
Schwerte umgebracht, und ich bin allein übriggeblieben, und sie
trachten darnach, mir das Leben zu nehmen! Aber der HERR sprach zu ihm:
Kehre wieder auf deinen Weg zurück nach der Wüste und wandere
gen Damaskus und gehe hinein und salbe Hasael zum König über
Syrien. Auch sollst du Jehu, den Sohn Nimsis, zum König über
Israel salben und sollst Elisa, den Sohn Saphats, von Abel-Mechola, zum
Propheten salben an deiner Statt. Und es soll geschehen, wer dem Schwerte
Hasaels entrinnt, den soll Jehu töten; und wer dem Schwerte Jehus
entrinnt, den soll Elisa töten. Ich aber will in Israel
siebentausend übriglassen, nämlich alle, die ihre Knie nicht
gebeugt haben vor Baal und deren Mund ihn nicht geküßt
hat. Selbst die Gemeinde der Gläubigen, selbst die verfolgte
Gemeinde kennt die Momente, in denen die Freimütigkeit, die
Unbekümmertheit, das Urvertrauen in der Gefahr steht, verloren zu
gehen. Selbst ein Elia fühlt sich plötzlich alleine und von
allen verlassen. Wir stehen also mit diesem Problem nicht alleine, alle
Gottesmänner aller Zeiten kennen solche Situationen. Wichtig ist,
wie wir aus solch einer Situation herauskommen, ob wir unser Urvertrauen
wegwerfen oder neues Vertrauen aufbauen, ob wir es bei der Beobachtung
lassen: „Ich bin ganz allein!“ oder ob wir uns von Gott die
Augen öffnen lassen und die 7000 wahrnehmen.
Aber unsere Geschichte vom großen Weltgericht ist ja keine
psychologische Lehrstunde, sondern eine Frage ewigen Lebens:
Und sie
werden in die ewige Pein gehen, die Gerechten aber in das ewige
Leben. Hier liegt ja die eigentliche Brisanz dieser Geschichte:
Ewiges Leben nur nach harter sozialer Arbeit? Nun gibt es viele gute
theologische Argumente, eine solche enge Auslegung des Textes abzulehnen.
Ist denn alles falsch, was im Römerbrief und im Hebräerbrief
über den Glauben und die Männer und Frauen des Glaubens
geschrieben steht? Ist es am Ende doch nur die soziale Tat? Hatte Jakobus
mit seinem kurzen Wort von der Wertlosigkeit des Glaubens ohne Werke
recht? (Jak. 2, 17)
So ist es auch mit dem Glauben: Wenn er keine
Werke hat, so ist er an und für sich tot. Aber warum gibt es
dann nur einen Brief von Jakobus, aber viele Briefe von Paulus?
Die vorangehenden Überlegungen geben uns schon einen Hinweis: Wenn
Menschen kein Vertrauen mehr zueinander aufbauen können, so ist dies
schon eine sehr schwierige Situation. In einem gewissen Sinne sind sie
dann füreinander gestorben. Wenn Menschen sagen, sie glauben an
Gott, so treibt sie dieser Glaube auch zu Taten, nämlich zu den
Taten, zu denen dieser Gott, dem sie glauben, sie beruft. Geschieht das
nicht, so ist ihr Glaube tot, denn sonst würden sie ja glauben, dass
Gott zu ihnen geredet hat. Die Werke, die wir tun, erwachsen aus dem
Glauben. Weil ich glaube, dass Gott seinen Sohn Jesus Christus für
mich in diese Welt gesandt hat, dass er mir Bruder geworden ist aus der
großen Liebe Gottes zu den Menschen heraus, darum erwarte ich auch
ganz natürlich, dass er zu mir spricht. Und ich setze um, was er mir
sagt. Nicht immer und alles setze ich um, manchmal bin ich bockig. Aber
dann spricht er in seiner Liebe erneut zu mir und vielleicht höre
ich beim zweiten Mal. Aber wenn ich gar nicht höre, dann bin ich
für meinen Bruder gestorben. Da unterscheidet sich das Verhalten
gegenüber einem leiblichen Bruder und gegenüber Jesus Christus
in keiner Weise.
Dann ist es also so mit dem Weltgericht: Da sind die einen, die auf Gott
hören, weil sie glauben, dass ein Gott ist. Diese Menschen sind auch
nicht besser als die anderen, aber weil sie auf Gott hören, werden
sie immer wieder daran erinnert, ihr Leben nicht von ihren Frustrationen
bestimmen zu lassen sondern von dem Wort Gottes in Gestalt der Bibel,
aber auch in Gestalt des erfahrenen Wortes Gottes, wie es ihnen der
Heilige Geist eingibt und wie er es in ihre konkrete Lebenssituation
hinein spricht. Auch diese Menschen hören nicht immer, handeln oft
falsch oder auch erst sehr spät. Aber sie werden vom Geist Gottes
vor dem "gar nicht", vor dem "mit dem bin ich fertig" oder "der soll mir
noch einmal kommen" bewahrt. In ihrem Leben behalten Glauben, Hoffnung
und Liebe einen Platz. Der Glaube stirbt nicht.
Diese Menschen sind es, die Jesus hier zu seiner rechten versammelt. Nach
links versammelt er die geistlich toten Menschen, armselige Menschen, die
aufgehört haben zu glauben, die aufgehört haben zu lieben und
die aufgehört haben zu hoffen. Dies sind Menschen, die uns schon
jetzt leid tun können. In ihrer Verhärtung nehmen sie ihre
Situation selbst gar nicht wahr, weil sie das Problem gar nicht bei sich
selber suchen, die anderen sind halt schuld...
Nur, woher nehmen wir die Freiheit, Menschen, die, wie wohl die meisten,
vielleicht sogar alle Christen, gelegentlich einmal auf ihren Gott
hören, auf der rechte Seite zu erwarten. Nun, es gibt zunächst
einen indirekten Beweis: Wäre es anders, kämen nur die auf die
rechte Seite, die immer und überall dem Reden des Heiligen Geistes
folgen, dann käme also, wenn wir ehrlich sind, niemand auf die
rechte Seite. Nun lesen wir aber, dass da Menschen auf der rechten Seite
sind. Aber es gibt noch einen zweiten, viel überzeugenderen und
klareren Beweis, den uns Jesus selbst liefert. Und damit kommen wir zu
der Geschichte von der Salbung Jesu:
Leidensankündigung und die Verabredung der Hohenpriester und
Schriftgelehrten und Ältesten des Volkes, Jesus zu töten,
klammern wir einmal aus. Sie sind ja höchstens dazu geeignet den
Druck auf Jesus und die Jünger noch zu erhöhen, sie
aggressiver, verbissener und damit liebloser, rechthaberischer zu machen,
eine Bunkermentalität aufkommen zu lassen: Wir kämpfen gegen
alle und alles. Von all dem ist nichts zu spüren. Jesus macht einen
Besuch in Bethanien. Wenn uns die Geschichte nicht so geläufig
wäre würden wir sagen: „Mensch, hat der
Nerven...“
Auch die dann folgende Geschichte über den Besuch in Bethanien hat
viele Aspekte, die in diesem Zusammenhang nicht gewürdigt werden
können. Da ist z.B. die Tatsache, dass diese Frau ihre letzte
Möglichkeit, Jesus mit dieser Salbung zu ehren, ergreift. Hätte
sie gezaudert und es auf den nächsten Besuch Jesu in Bethanien
verschoben, es wäre nicht mehr dazu gekommen, es wäre zu
spät gewesen. In unserem Zusammenhang ist die Salbung Jesu von
Bedeutung, die angebliche Verschwendung, die Frage der Umstehenden. Sie
zeigt uns, wie Jesus selbst dieses Weltgericht verstanden wissen will:
Als das seine Jünger sahen, wurden sie entrüstet und
sprachen: Wozu diese Verschwendung? Man hätte das teuer verkaufen
und den Armen geben können! Haben sie nicht gerade die Rede Jesu
von der Bedeutung sozialen Handelns gehört? Muss jetzt der Meister
nicht eingreifen? Und Jesu antwortet ganz entspannt:
Warum
bekümmert ihr das Weib? Sie hat doch ein gutes Werk an mir getan!
Denn die Armen habt ihr allezeit bei euch, mich aber habt ihr nicht
allezeit! Damit, daß sie diese Salbe auf meinen Leib goß, hat
sie mich zum Begräbnis gerüstet. Wahrlich, ich sage euch: Wo
immer dieses Evangelium gepredigt wird in der ganzen Welt, da wird man
auch sagen, was diese getan hat, zu ihrem Gedächtnis! Er lobt
das Verhalten der Frau. Er nimmt diesen Zwang zum sozialen Handeln von
ihr und gibt ihr die Freiheit, so zu handeln, wie es ihr die Liebe aufs
Herz legt. Markus überliefert den Satz (Mar. 14, 7):
Denn die
Armen habt ihr allezeit bei euch, und wenn ihr wollt, könnt ihr
ihnen Gutes tun; mich aber habt ihr nicht allezeit. Mit diesem
Einschub
«und wenn ihr wollt» zeigt Jesus eine
große Gelassenheit. Auf keinen Fall lässt er durchblicken,
dass hier ein Zwang besteht, im Gegenteil, er stellt die Fragenden ins
Unrecht und bekräftigt, dass diese Frau recht gehandelt hat.
Welche Freiheit spricht aus diesem Satz. Und ist es nicht diese Freiheit,
die es ermöglicht, anderen Menschen Liebe entgegen zu bringen? Wenn
ein Mensch permanent unter Druck steht, wird er dann lieben können?
So gilt auch hier der Satz, den Paulus an die Galater schreibt (Gal. 5,
13):
Denn ihr, meine Brüder, seid zur Freiheit berufen; nur
machet die Freiheit nicht zu einem Vorwand für das Fleisch, sondern
durch die Liebe dienet einander. Alles, was man vielleicht wieder
einschränkend sagen möchte, um einen Missbrauch des Gesagten
auszuschließen, das findet sich in diesem Satz.
So wird der Text erst aus dem Zusammenhang heraus verständlich. Er
enthält eine wuchtige Botschaft und Herausforderung an das Leben des
Glaubenden. Und diese Herausforderung besteht nicht nur in der
Aufforderung zur sozialen Tat, sie besteht vor allem darin, im Glauben
auf das Reden des Heiligen Geistes zu achten und den Lobpreis wie das
soziale Handeln zur rechten Zeit zu tun, aus einer Freiheit der Liebe
heraus und nicht aus Zwang. Er stellt uns aber auch die Frage, ob mein
Verhältnis zu meinen Mitmenschen von der Liebe oder von der
Frustration geprägt ist. Und es ist die ganz wesentliche Aussage
beider Texte, die Liebe und nicht Frustration oder Zwang zu wählen.
Theoretisch ist uns das völlig klar, aber es ist ein täglicher
Kampf, auch danach zu handeln.